ИСТИНА

Die Ambivalenz des Rechtsnihilismus in Russland entfaltet sich zum Einen in der Ablehnung des Rechts – etwa im konsequenten Nihilismus von Lew Tolstoi, zum Anderen – in der Anerkennung eines moralischen Gesetzes („Panmoralismus“) und des Rechts als eines Minimums an Sittlichkeit sowie der normbildenden Rolle der Kunst als einer „ansteckenden Tätigkeit“. Die Priorität der inneren Freiheit, die Verlagerung der Herausbildung von Rechtsbewusstsein und –normen in den Bereich der Ästhetik stellen ein besonderes Merkmal der russischen Kultur dar. Die grundlegende Frage nach der menschlichen Existenz wird von Fjodor Dostojewski im rechtlichen Umfeld gestellt: „Bin ich eine zitternde Kreatur oder habe ich ein Recht…“ Den Hauptdialog in dem Roman „Schuld und Sühne“ führt Raskolnikow mit dem Vertreter des Gesetzes, die Verurteilung nach dem Gesetz hingegen stellt lediglich eine äußere Entscheidung dar. Die Spezifik des Romans besteht in der Verlagerung des Rechts auf die innere religiöse Ebene, eine grundsätzliche Lösung der Frage erscheint nur möglich in der Reue, dem Opfer und der Liebe. In der russischen Gegenwartsliteratur findet die Tradition des Rechtsnihilismus, etwa bei Wiktor Pelewin und Andrej Rubanov, seine Fortsetzung.